Wir steigen die fünf Stufen aus dem Bus herunter und sind erst einmal geschockt. Von den vielen Menschen. Von den vielen Autos. Von den vielen Geräuschen.
Taxi? Taxi? Taxi?
31 Stunden Reisezeit liegen hinter uns. Die letzten 15 davon in einem viel zu kalten Bus, der uns viel zu schnell wieder in eine komplett neue Welt gebracht hat. In eine neue Realität, die uns auch noch die nächsten Stunden ziemlich verwirren wird. Denn dort wo wir herkommen, gibt es All das nicht. Keine Menschen (zumindest nicht so viele). Keine Geräusche (zumindest nicht so laute). Und vor Allem keine Taxis. Kulturschock auf einem neuen Level. Da müssen wir jetzt wohl durch. Doch erst einmal hier raus.
Rauf auf den Gaul…
Der Boden ist vom vielen Regen total aufgeweicht. Der Schlamm mindestens einen halben Meter tief. Links und rechts an den Seiten ist Alles überwuchert vom Moos. Die Bäume versperren mir immer wieder den Weg. Mit einer Hand versuche ich mein Gesicht vor den Ästen zu schützen. Meine Andere bewahrt mich vorm Runterfallen.
Seit mehr als fünf Stunden sitze ich mittlerweile auf meinem Pferd. Reite mit ihm durch dick und dünn. Besser gesagt durch Flüsse, Felder, Berge, Täler. Inmitten einer Landschaft, die mich von Minute zu Minute überrascht. Fast schon schockiert. Wegen seiner Unberührtheit. Seiner Schönheit. Wie in einem Märchen komme ich mir vor. Oder eher Herr der Ringe. Ein perfekter Mix aus beidem.
Maxi ist direkt hinter mir. Sitzt vorne auf dem Pferd von unserem Mongolischen Guide. Die Zügel fest in der Hand, den Blick nach links und rechts gerichtet. Er strahlt. Zumindest der Teil vom Gesicht, der noch nicht verdreckt ist. Dafür umso mehr vor Freude glänzt. Bereits seit gut einer Woche sind wir unterwegs. Entweder in einem alten Russischen Militärbus, der uns durch die Pampa fährt. Oder den nicht ganz so alten Mongolischen Pferden, die uns durch die Wildnis führen. Wir schlafen in Jurte Zelten. Waschen uns in Flüssen. Kochen auf offenem Feuer. Keine Elektrizität. Kein Handy. Kein gar nichts.
Wir waren bereits in Australien und Neuseeland ziemlich oft abseits der normalen Wege unterwegs. Je weiter, desto besser. Die perfekte Vorbereitung für die Mongolei. Denn hier nimmt das Ganze fast schon unrealistische Züge an. Und gefällt uns noch besser. Denn mehr brauchen wir nicht. Nicht mehr.
Hinter dem letzten Berg, den wir überqueren, verändert sich plötzlich etwas. In der Landschaft. In meinem Blickfeld. In dem Szenario. Fünf Tipi Zelte, inmitten der Steppe. Aufsteigender Rauch inmitten des Nichts. Wie kleine Punkte tauchen sie auf einmal auf. Wie in einem alten Western Film kommen sie mir vor. Das ist also unser Ziel. Nach mehr als sieben Stunde auf den Pferden. Nach durchnässten Klamotten, durchfrorenen Füßen, hungrigen Bäuchen. Wir sind da.
… und rein in die Mongolische Steppe:
Winkend nehmen uns die Tsaatan in Empfang. Helfen uns von den Pferden runter. Laden unsere Rucksäcke ab. Ein kleiner Junge kommt angerannt und nimmt Maxi an die Hand. Seine Mutter führt mich in das Familienzelt. Direkt an das Feuer. Mit einer Tasse Milchtee in der einen und einem Brot in der anderen Hand sitze ich Sekunden später direkt an der Quelle. Wärme Quelle.
Trocknendes Fleisch hängt an einer Wäscheleine über meinem Kopf. Viereckige Käsestücke direkt daneben. Eingehüllt in bunte Tücher sehen sie fast ein bisschen aus wie Weihnachtsdekoration. Der Geruch ist allerdings anders.
Vier Holzpritschen an den Seiten, diverse Teppiche auf dem Boden. Ein Fernseher und ein Telefon in der hinteren Ecke, die dazugehörige Stromquelle direkt daneben. Eine Autobatterie mit unzähligen Kabeln verbunden. Ein großer Topf mit kochender Milch auf dem Feuer. So sieht es also aus, bei einer der letzten Tsaatan Familien, die es mittlerweile im Norden der Mongolei gibt.
Noch rund 400 sind von ihnen übrig. Leben in einer Welt, die nicht unterschiedlicher zu unserer sein könnte. Nomadische Bauern. Rentier Bauern in der Mongolischen Taiga. Die Lebensbedingungen mehr als hart. Im Sommer Temperaturen bis zu 40 Grad, im Winter 50 Grad unter Null.
Der Vorhang zum Zelt geht auf. Maxi steht davor. Mit einem Rentier im Schlepptau, und dem kleinen Mongolischen Nomaden oben drauf. Sie grinsen und kichern. Ähnlich wie seine Mutter, die entspannt in dem großen Topf rührt. Rentier Käse. Unser Hauptnahrungsmittel für die nächsten Tage. Kein Obst, kein Gemüse. Nur selbstgebackenes Brot, für die nicht Vegetarier jede Menge Fleisch und der besagte Käse. Gesund sehen sie hier leider irgendwie nicht aus. Eher ziemlich verbraucht.
Die Haut teilweise schwarz und gegerbt wie Leder, die Falten tief ins Gesicht gezeichnet. Die Lebenserwartung liegt hier draussen bei 50 bis 55 Jahren, mein kochendes Gegenüber dürfte nicht allzu weit davon entfernt sein. Medizinische Versorgung gibt es nicht, der nächste Arzt mindestens ein sieben Stunden langer Ritt entfernt. Wenn überhaupt. Doch was mich verwundert, sind die weißen Zähne, die die Meisten von ihnen haben. Strahlend weiß, allerdings mit der ein oder anderen Lücke dazwischen.
Die nächsten Tage schlafen wir in den Tipis. Entweder bei der Familie auf den Holzliegen, oder im Zelt nebenan auf dem Boden. Dick eingepackt in unseren Schlafsack. Dennoch fröstelnd, weil immer wieder Regen und Wind durch die Löcher pfeift. Tagsüber sitzen wir um das Feuer. Kochen Tee, rühren Käse. Maxi reitet auf den Rentieren, pflückt wilde Beeren und versucht Fische mit der Hand zu fangen. Sowohl sein kleiner Spielgefährte als auch die dazugehörige Familie sprechen kein einziges Wort Englisch. Unser Mongolisch beschränkt sich auf ein paar einfach Floskeln. Und dennoch reicht es aus. Um einen Einblick zu erhalten.
Märchenland vs. moderne Welt:
In ein Leben, das für ein paar Tage sehr romantisch erscheint: Inmitten der Wildnis, abseits der modernen Welt mit seinen noch moderneren Versuchungen. Ob es das am Ende des Tages ist, fällt mir schwer zu begreifen. Schwer zu verstehen. Sieht so Glück aus? Zufriedenheit? Denn durch Telefon und Fernseher bekommen die Tsaatan ja bereits Einblicke in das Leben auf der anderen Seite, und bleiben dennoch in ihrer eigenen Welt. Ihrem eigenen Universum.
Das uns nach sieben Stunden auf dem Pferd, neun Stunden im Russischen Auto und anschließend 15 Stunden im Mongolischen Bus wie eine Geschichte aus einem Buch erscheint. Einem Märchenbuch, in das wir mal kurz hereinblicken durften. Einem Zauber, aus dem wir gerade mehr als grob wieder gerissen werden. Und uns verloren sein lässt. Im Zentrum von Ulaanbaatar. Umringt von so vielen Menschen. So vielen Autos. So vielen Geräuschen. Sofort hier raus.
Die nächsten Tage ziehen wir in ein Hostel. Schlafen auf Betten. Waschen uns in Duschen. Kochen auf Herdplatten. Elektrizität. Handy. Alles. Sieht so Glück aus? Zufriedenheit? Mit unseren Gedanken sind wir immer wieder woanders. 31 Reisestunden entfernt.
Von der wir noch lange erzählen werden, und die uns innerhalb dieser kurzen Zeit so sehr geprägt hat. Vor Allem Maxi, der schon jetzt seinen kleinen Tsaatan Freund vermisst. Immerhin weiß er jetzt, wo die wilden Rentiere wohnen. Und wird das Komplettpaket darum hoffentlich niemals mehr vergessen. Selbst zurück in dieser neun Welt. Neuen Realität, die uns auch noch die nächsten Stunden ziemlich verwirren wird.
Steffke says
Ich kann die beschriebenen Emotionen irgendwie so gut nachvollziehen….auch durch deinen unaufgeregten Schreibstil. Als Kind habe ich,auch wenn in einem ganz anderen Ausmaß,ähnliche Erfahrungen sammeln dürfen und fühle mich oft an diese Emotionen zurückerinnert…auch noch nach ca.15 Jahren. Eine Mischung aus Trauer,Freude, ganz großer Verwirrung und:” Was soll das eigentlich Alles,hier in unserer Realität?”. Komisches Gefühl.
Danke und alles Gute für euch.
Janina says
🙂
sommer says
liebe janina,
danke für deinen schönen bericht!
ich träume schon so lange von der mongolei. weite, natur, schönheit…
mich interessiert noch sehr, wie du diese tour organisiert hast, was so was kostet und wie man überhaupt in die natur der mongolei kommt, für mehr als nur einen augenblick. am besten eben mit pferden.
wie war es bei euch? es wäre riesig toll, wenn du darüber noch etwas schreiben könntest, gerne auch als mail, falls du keinen artikel darüber schreiben magst… meine mailadresse müsstest du ja sehen können.
ganz liebe grüße und alles gute,
schön dass du über eure reise schreibst.
katharina
Janina says
Liebe Katharina, mittlerweile habe ich ja noch ein bisschen was dazu geschrieben und gepodcastet… Hoffe, das reicht Dir so. Alles Liebe und viel Spaß beim Planen Eurer Reise in die Mongolei!