Die Jacke hoch gezogen bis ins Gesicht. Den Schal noch einmal fest drum herum. Das Stirnband sitzt tief, die Handschuhe fest. Eingepackt, bis nur noch zwei Schlitze vom Gesicht übrig sind. Eingepackt, bis wir uns fast nicht mehr bewegen können. Eingepackt, und trotzdem frierend. Denn es ist kalt. Richtig kalt. Und das im Frühling. Und das in Montreal mit Kind.
Unsere Freunde hatten uns schon ein bisschen vorgewarnt. Ein bisschen eingestimmt, auf die möglichen Temperaturen. Auf die möglichen Gegebenheiten. Auf den möglichen Wintereinbruch. Doch nicht auf Schneeregen. Und Eiswind. Und zugefrorene Strassen. Und zwei frierende Sommermenschen im Wintertreiben.
Die Sache mit der Gepäckaufgabe
Erst hatte ich mich gefreut. Als in San Jose bei San Francisco Freiwillige gesucht werden. Wir unseren Rucksack kostenlos aufgeben dürfen, und er eigentlich bis nach Montreal mitreisen soll. Eigentlich. Denn spätestens als die zwei übrige gebliebenen Koffer am Zielort ihre letzten Runden auf dem Gepäckband drehen, wird es mir sofort klar. Wir verbringen die Nacht wohl ohne unsere Zahnbürsten. Und die Klamotten müssen auch noch bis Morgen im Laufe des Tages reichen. Wenn überhaupt. Denn von unserem roten Rucksack keine Spur. Wie auch, wenn er in noch in Vancouver liegt. Anstatt in Montreal seine Runden zu drehen.
Zweimal hatte ich in den vergangenen Jahren auf unserer Weltreise den Rucksack eingecheckt. Zweimal nach der Landung auf ihn gewartet. Zweimal ohne Erfolg. Also das typische Prozedere: Papiere ausfüllen und durchhalten. Bis zum nächsten Morgen. Bis über den Tag verteilt. Bis um 2h in der darauf folgenden Nacht. Bis wir endlich wieder vereint sind. Rucksack inklusive.
Der Wille war da, aber…
… das Wetter einfach zu schlecht. Viel zu schlecht. Selbst für die Hartgesottenen in Montreal. So einen Frühling haben sie anscheinend lange nicht mehr erlebt. Wir auch nicht. Und trotzdem geben wir dem Ganzen eine Chance. Jegliche Schichten, die wir aus unseren Klamotten bauen können plus noch ein paar geliehene Sachen aus erster Hand. Eingepackt wie Kanadische hot dogs geht es nach draussen in die cold city. Und ganz schnell wieder zurück. Der Eisregen peitscht uns ins Gesicht. Die Kälte zieht gleich überall hin. Es ist wirklich mehr als ungemütlich, und wir einfach Nichts mehr gewöhnt. Max hatte sich im Vorfeld richtigen Winter gewünscht. Und die Horror Version davon bekommen.
Leere Spielplätze, leere Strassen, leere Fußwege. Nach höchstens einer Stunde müssen wir zurück ins Warme. Füße aufwärmen, Tee trinken. Es ist schon spannend, wie sehr wir uns in den letzten zwei Jahren an Wärme gewöhnt haben. Wie sehr uns die Kälte doch zu schaffen macht.
Viel drinnen, wenig draussen
Und deswegen bleiben wir einfach drinnen. Mummeln uns richtig ein. Schlafen morgens lange aus, frühstücken ausgiebig und werden zu richtigen Stubenhockern. Normalerweise sind wir den ganzen Tag draussen, den ganzen Tag unterwegs. In Kanada ist Pause angesagt. Zwangspause. Und es fühlt sich super an. Fast schon vorweihnachtlich anstatt frühlingshaft.
Ich weiß nicht, wann wir das letzte Mal in so einem Gammelmodus waren. Den Schlafanzug bis zum Mittag nicht ausziehen, wenn überhaupt. Max hört ein Hörspiel nach dem anderen, und ich plane unsere nächsten Reiseziele. Bis ins Detail. Wir haben ja Zeit. Wir haben ja Ruhe. Wir haben ja uns. Und das ist richtig schön.
Abends stehen wir Ewigkeiten in der Küche, und probieren neue Rezepte aus. Hausfrauenstyle. Hausmannskost. Was mich sonst in den Wahnsinn treiben würde, macht auf einmal Sinn. Macht auf einmal richtig Spaß. Vor allem mit den richtigen Partnern in crime. Digitale Nomadenfamilie reunited.
Kreatives Stubenhocken
So kommt es, dass wir zwar nicht raus, dafür aber richtig in uns gehen. Yoga machen. Meditieren. Und nebenher noch an neuen Projekten rumfeilen. Gedanken sammeln. Ideen umsetzen. Als Digitaler Nomade arbeitet jeder eigentlich immer ein bisschen für sich. Zwar nicht gerade im stillen Kämmerlein, dafür aber oft einsam vor dem Laptop sitzend. Büroatmosphäre und Austausch mit den Kollegen fällt da eher flach. Und ist doch so wichtig. Deshalb sind viele von uns Mitglieder in so genannten „Master Mind“ Gruppen. Gemeinsam mit anderen kreativen Nomaden neue Möglichkeiten besprechen, Dinge verwerfen oder verwirklichen. Besonders im Aufbau eines eigenen kleinen Unternehmens, ist so etwas viel wert. Goldwert. Doch auch immer mal wieder zwischendurch. Zum Beispiel in Kanada.
Im Verlauf der letzten zwei Jahre ist es mir ziemlich wichtig geworden, auch andere Eltern aber insbesondere andere Mütter zu ermuntern: Sich zu trauen, von allen Ängsten und Unsicherheiten Stritt für Schritt zu entfernen um am Ende ebenfalls mit Kindern zu reisen. In welchem Umfang auch immer. Doch auf jeden Fall über die Komfortzone hinaus.
Vielleicht gehörst Du ja sogar auch dazu. Vielleicht hast Du mir auch schon die ein oder andere Email mit Fragen geschickt. Vielleicht konnte ich Dir bereits bei verschiedenen Dingen weiterhelfen. Dich ein bisschen in die richtige Richtung ermutigen. Dieser Austausch ist nicht nur für Dich hilfreich, sondern auch für mich spannend und macht mich stolz. Richtig sogar. Denn zusammen sind wir stark. Hört sich ausgelutscht an, ist aber tatsächlich so. Deshalb möchte ich auch noch mehr mit Dir zusammen arbeiten. Mit Dir zusammen planen, mit Dir zusammen umsetzen.
In den kalten Tagen kommt mir also die heiße Idee zu Bärti und Du: Mein Mentoren Programm in dem Du (Bärti) und ich über Deine Ziele und Pläne reden und an Deinen Ideen und Umsetzungen arbeiten. Wie, wo und in welcher Form liegt dabei ganz bei Dir. Du hast die Wahl, und kommst dadurch Deinem eigenen Abenteuer (Welt-) Reisen mit Kind ein Stück näher. Ein großes Stück sogar, wenn Du magst.
Und so macht es am Ende doch wieder Sinn. Das Frieren. Das Bibbern. Und das zu Hause einkuscheln. Denn Kreativität entsteht aus Langeweile, auch in Montreal mit Kind. Das ja eigentlich richtig schön sein soll. Bei Sonne. Nicht im Regen. Im Sommer. Nicht im Frühling. Also müssen wir noch einmal wieder kommen. Mit der Jacke, offen bis zum Bauchnabel. Ohne Schal, und ohne Stirnband. Als zwei Sommermenschen in dem dazu passenden Szenario.
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