Es muss Irgendetwas psychologisches sein. Denn es trifft mich sofort. Ohne Vorwarnung. Ohne, dass ich damit gerechnet habe. Doch in dem Moment, als wir in Mexiko City aus dem Flugzeug steigen, packt es mich. Dieses Gefühl von zu Hause. Von schon einmal da gewesen zu sein. Von wohl fühlen. Von ankommen. Von kennen. Von nicht fremd sein. Trotz der blonden Haare. Und ich weiß noch im selben Moment, was es ist. Der Geruch.
Mit 19 bin ich das erste Mal für längere Zeit aus Deutschland abgehauen. Mit meinem Rucksack auf dem Rücken, und kurze Zeit später zwei Kindern an den Händen. Madrid. 2002. Erst als AuPair, doch ziemlich schnell als Kind Nummer drei meiner Gastfamilie. Eigentlich wollte ich nie wieder weg. Das Gefühl von zu Hause. Von schon einmal dagesessen zu sein. Von wohl fühlen. Von nicht fremd sein. Wahrscheinlich wegen der damals noch dunklen Haare. Und natürlich wegen des Geruchs. Von frischer Wäsche. Getränkt in Weichspüler. Den die mexikanischen Hausangestellten aus unserem Viertel eher hochdosiert statt umweltfreundlich benutzen.
Und der sich am Flughafen in Mexiko, neben Kerosin und Chili wieder in mein Gedächtnis schleicht. Die richtigen Synapsen aktiviert. Und ab jetzt einmal quer durchs Land begleitet.
Tote Mexikaner:
Mit Tequila Gläsern in der Hand und Picknick Körben auf dem Schoß, sitzen sie auf den Gräbern. Umringt von orangenen Blumen und fröhlicher Musik. Menschen mit Gitarren in den Armen, Menschen mit Raketen in den Händen und Menschen mit Lächeln auf ihren Gesichtern. Es wird getanzt, gelacht, gegessen, geweint. Alles zusammen. Alles intensiv. Und Alles in bunt. Der Tag der Toten in Mexiko. Der Grund, warum wir eigentlich hier sind. Denn der Tod gehört zum Leben dazu. So wie das Leben zum Tod. Und das möchte ich Maxi zeigen. In seiner buntesten Form. In seiner schönsten Form.
Also sitzen wir mit bei den Familien. Hören die Geschichten rund um die Verstorbenen. Teilen die Tortillas der Lebenden. Und bekommen einen völlig neuen Blickwinkel auf das Loslassen. Annehmen. Akzeptieren. Bei uns in Deutschland ist der Tod düster. In Mexiko ist er bunt. Auf den Friedhöfen. Auf den Straßen. In den Häusern.
Kerzen sollen die verstorbenen Seelen wieder zurück in ihre alte Umgebung führen. Ihnen den Weg zeigen. Zu ihrem Zuhause. Wo bereits gedeckt ist. Und die Verwandten warten. In heller Aufregung. In bunter Vorfreude. Wochenlang wird dafür vorbereitet. Geputzt. Geplant. Gekocht. Kleine Altare errichtet, mit den Fotos der Toten oben drauf. Und all den Dingen, die ihnen in unserer Welt Spaß gemacht haben. Tequila. Schokolade. Zigaretten. Kaffee. Ganz nach Gusto.
Ganz nach unserem Geschmack. Denn die Party geht mehrere Tage, und wir feiern mit. Bis wir Abends (halb) tot ins Bett fallen.
Moderne Mexikaner:
Und am nächsten Morgen in den nächsten Bus. Denn wir wollen nicht nur Gräber sehen. Sondern auch das Leben. Und das Land. Von einem Ort zum nächsten. Funktioniert nicht nur in der Mongolei super mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. In Mexiko noch eine Nummer besser. Und komfortabler. Denn die Busse hier sind sowas von modern, dass es Maxi und mich erstmal richtig überrascht. Super pünktlich. Super sauber. Super günstig. Leider auch super kurvig, was mir den Spaß ein bisschen verdirbt.
Trotzdem sind die Busfahrten für uns immer ein kleines Highlight. Weil wir so viel vom Land sehen. Weil wir so flexibel dabei sind. Und auch hier wieder die nettesten Menschen treffen. Denn spätestens, wenn mir bei Kurve Nummer 3.000 das scharfe Essen wieder hoch kommt, ist der halbe Bus auf den Beinen. Um mir zu helfen. Meistens mit Tequila. Unter der Nase. Und mexikanischen Händen. An meiner Stirn.
Nette Mexikaner:
Besonders im echten Mexiko. Den Orten, an denen wir mit die einzigen Touristen sind. Die einzigen Blonden. Und Max die Attraktion des Dorfes. Mal wieder. „La nina rubia“. Das blonde Mädchen. Die langen Haare. Die mexikanischen Hände. So liebevoll streicheln sie ihm über den Kopf. So liebevoll lächeln sie uns zu. Freuen sich, dass wir ihr Land kennen lernen wollen. Abseits der touristischen Pfade. Wie in Juchitan de Zaragoza. Wo das Erdbeben im September den größten Schaden angerichtet hat. Jedes zweite Haus. Mehrere hundert Tote. Ein Schlachtfeld. Immer noch.
Und dennoch ein Ort, der uns in wunderschöner Erinnerung bleiben wird. Denn die Menschen strahlen trotz der Tragödie. Sind gerührt, wenn Max mit bei den Aufräumarbeiten hilft. Dachziegel putzt. Dreck wegfegt. Mit schmutzigem Gesicht glücklich ist. Und daraufhin zum Frühstück eingeladen wird. Tortilla. Unser Hauptnahrungsmittel hier. Dreimal am Tag. Bis es zu den schmutzigen Ohren wieder rauskommt.
Schreckliche Mexikaner:
Doch es gibt sie leider auch. Die dunklen Wolken, die das sonnige Mexiko für uns überschatten. Am Anfang dachte ich, es sei pure Übertreibung. In den ersten Tagen bei unseren Deutschen Freunden. Auf dem eingezäunten Spielplatz. Mit dem bewaffneten Sicherheitspersonal. Und den ewigen Warnungen. Doch es lässt nicht nach. Auch nicht ausserhalb der ummauerten Orte, in denen ausländischer Reichtum und mexikanische Armut meilenweit voneinander entfernt scheinen. Egal wo wir hinkommen, die Gefahr reist irgendwie mit. Zusammen mit den Horror Geschichten. Die am Meisten von den Mexikanern selber erzählt werden. Immer und immer wieder.
Von überfallenen Menschen. Ausgeraubten Autos. Doch noch mehr von entführten Kindern. Für kurze Zeit und wenig Lösegeld im nächsten Supermarkt. Aber auch von den Fällen ohne Happy End. Die es bis in die Nachrichten schaffen. Und traurigerweise ein normaler Teil des Alltags sind. In einem Land, in dem Gewalt und Korruption mit dazu gehört. Drogen regieren und ich immer öfter sage, dass ich Grundschullehrerin sei. Und nicht als Journalistin unterwegs. Sicher ist sicher.
So kommt es, dass Max und ich zusammen kleben wie Kletten. Sobald es dunkel wird im nächsten Taxi sitzen. Und immer aufmerksam sind. Egal wo. Egal wann. Egal mit wem. Wie schade. Wie traurig. Wie unglaublich.
Uns aber trotzdem nicht davon abhalten kann, Mexiko mit Kind zu lieben. Abseits der Schatten. Ausgelöst durch die tolle Kultur. Die freundlichen Menschen. Die wunderschöne Natur. Das unschlagbare Essen. Und natürlich dem ganz speziellen Geruch. Der mir in der Nase bleibt. Bis zu dem Moment als wir in Mexico City ins Flugzeug steigen. Vorbei an der lächelnden Stewardess. Die Weichspüler anscheinend auch eher hochdosiert statt umweltfreundlich benutzt.
Total sicher oder eher völlig fehl am Platz? Wie hast Du Dich in Mexiko mit Kind gefühlt?
Mia says
Von anderen Kulturen kann man wie hier zu lesenist viel lernen. In unserer Leistungsgesellschaft ist für den Tod kein großer Platz. Erst am Ende des Arbeitslebens und des Konsumierens steht die Besinnung vom immer mehr wollen und vom Erfolgshunger an. Es ist daher kein Wunder, dass wir Nordeuropäer eine Trauerbegleitung benötigen.