Orange mit grau, in vier Teile geteilt und verziert mit hübschen Strichen. So sieht er aus. Mein ziemlich bester Freund: Der Taschenrechner auf meinem Smartphone.
13 Jahre Schule, kiloweise Stoff, den ich mir in mühseliger Schwerstarbeit ins Gehirn gepresst habe. Tag für Tag.
Und was ist davon hängen geblieben? Bei den einfachsten Rechenaufgaben wird’s leider brenzlig. Die Ableitungsregeln der Differentialrechnung kann ich dagegen selbst beim Kochen unter explosivem Kindergeschrei noch fehlerfrei ausspucken.
Angeblich gibt es in Deutschland eines der besten Schulsysteme der Welt. Doch das nützt den Wenigsten.
Studieren statt riskieren
Fahrrad fahren, auf Bäume klettern, dem Nachbarn die Klingel mit Zahnpasta beschmieren: Wer in seinen ersten Jahren auf der Straße und im Kindergarten nicht ordentlich was riskiert, kann schmollend nach Hause laufen. Oder direkt in die Schule. Denn da wird das mit dem Risiko etwas anders gesehen:
Der Lehrplan sitzt, der Zeitdruck für die Lehrer erst Recht. Das Einzige was fehlt, sind Fehler. Denn die darf man nicht machen, und das muss selbst bei den Kleinsten so schnell wie möglich ankommen. Und bleiben.
Entdecken durch Ausprobieren. Lernen durch Misserfolge! 2-1-Risiko! So war mal der Plan.

Amed/ Bali
Im Alltag sieht es leider anders aus. Zu wenig Zeit, zu wenig Lehrer, zu wenig Abenteuer. Dafür um so mehr Angst vor dem Versagen. Wer will schon bei der Rechenolympiade Minuspunkte wegen falscher Antworten riskieren?
Der zweite Platz ist halt nicht erwünscht. Tschüss liebes Risiko. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.
Eine Portion Einheitsbrei, bitte!
Und so kommt es weniger heimlich, still und leise, dass Fahrrad Fahrer, Bäume Kletterer und Klingel Beschmierer in einen großen Topf geworfen, kräftig umgerührt und zu einer homogenen Pampe verarbeitet werden.
Ein bisschen wie Gnocchis: Eigentlich lecker, aber ohne Sauce ziemlich langweilig. Eine Vorspeise vom Buffet. Massenabfertigung.
Job, Gesellschaft, Tennis-Club. Bis zum Dessert ändert sich bei Vielen im Leben wenig.
Erst dann kommt bei so manchem Gourmet die Enttäuschung hoch: Man hätte ja auch mal was anderes probieren können.
Da geht noch was
Risiko eingehen, Fehler machen, Fragen stellen. Leidenschaftlich und trotzdem tolerant sein: Das Komplettpaket. Bei Kindern wird es eigentlich direkt mitgeliefert. Als perfekte Werkseinstellung.
Jeder Regenwurm auf der Straße ist einen mindestens fünf minütigen Stopp wert; Fragen niemals dumm. Bis genau zu dem Zeitpunkt, an dem sie von falschen Antworten verdrängt werden. Der Blick auf das Wesentliche nach einmal Augen zwinkern verloren geht.
Und dabei gibt es doch so Viel zu entdecken. Nicht nur vor der eigenen Haustür. Sondern besonders, wenn Du Dich mit Deinem Kind weiter bewegst. Weg, von den typischen Mustern, in die wir alle immer wieder gedrängt werden. Hinein in etwas Neues. Eine völlig neue Kultur mit neuen Bildern, neuen Menschen, neuen Eindrücken. Der Schule auf Reisen.

Amed/ Bali
Es ist unglaublich, was Maxi in unserer Zeit hier auf Bali schon alles gelernt hat. Wie er auf die fremden Menschen zugeht. Keine Angst vor Ihnen hat, eher Urvertrauen. Welche Hürden er täglich meistert:
In einer Umgebung, die ihm komplett neu und vorerst fremd war. Deren Sprache und Menschen er täglich neu entdecken muss. Mit sandigen Händen und schmutzigen Füßen. Und dabei so viel lernt, dass er am Abend völlig erschöpft einschläft. Geschaukelt von den letzten Brocken Indonesisch, die er in den Schlaf brabbelt.
Offen und aufgeregt, auf all das, was ihn am nächsten Morgen erwartet. All die Eindrücke, die er aufsaugt, verarbeitet, das für ihn im Moment Wichtige für ihn daraus zieht. Und festhält. Solange er es braucht.
Genau daran müssen wir als Eltern festhalten. Uns festklammern. Und unsere Kinder gleich dazu. Es geht nicht darum, der Beste zu sein. Erst recht nicht in der Schule. Es geht ums Ganze. Um das Wichtige. Um das Leben. Um die Welt. Sie zu entdecken und sich in ihr zurecht zu finden. Und nicht um abstrakte Themen, die man im besten Fall erst nach der Klassenarbeit direkt wieder vergisst.
Zeig deinen Kindern Fehler zu machen, und daraus zu lernen. Erlaube ihnen Fragen zu stellen und selber Antworten zu suchen. Leidenschaft zu leben. Auf eigenen Füßen zu stehen. Nicht nur vor der eigenen Haustür. Anders zu sein.
Schon bei der Vorspeise à la Carte zu bestellen.
… und es wird immer mehr
Natürlich kann es schwierig werden nur mit tollen Erinnerungen im Gepäck und ein paar Brocken Indonesisch später in der westlichen Gesellschaft seinen Platz zu finden. Es gibt manche Dinge, die werden gebraucht. Die werden erwartet.
Das Interessante daran ist allerdings, dass Kinder von selber darauf kommen. Maxi ist momentan fast ausschließlich von Englisch oder Indonesisch sprechenden Menschen umgeben. Also versucht er jeden Tag mehr und mehr Wörter auf den fremden Sprachen zu lernen. Und es klappt. Ohne jegliche Anstrengung. Dafür mit Hingabe.

Canggu/ Bali
Das Gleiche mit dem Schreiben: Weil er unbedingt lesen lernen möchte, hat er angefangen gemeinsam mit mir die Buchstaben zu lernen. Jeden Tag ein bisschen.
Nemo. Bali. Meer. Die ersten Wörter sitzen. In krakeliger Schrift auf dem vom Salzwasser wellig geformten Papier.
Von ganz alleine. Weil er es braucht. Weil er es mag. Und weil es in diesem Moment an diesem Ort für ihn wichtig ist.
Sei mutig!
Und gib diesen Mut weiter! Denn nur so wirst du Nachhaltigkeit schaffen. Deine Kinder auf ihrem Weg begleiten, anstatt ihnen nur die Richtung zu zeigen. Das Leben ist nicht Theorie, sondern Praxis!
Doch das ist etwas, das man nicht ohne den Blick über den Tellerrand lernen kann. Dafür musst Du mit Deinem Kind weiter gehen. So weit Du magst. Sei es bis an das andere Ende der Welt. Wo Ihr beide an Eure Grenzen kommen werdet. Und dabei Lösungen und Wege findet. Buchstaben schreiben, Indonesisch sprechen, die wildesten Wellen surfen. Das ist nur der Anfang. Anpassungsfähigkeit, Toleranz, Nächstenliebe. Es kommt noch so viel mehr.

Amlapura/ Bali
Wenn du auch nur einen Bruchteil davon im Anschluss mit nach Hause nimmst, es in Deinem tiefsten Inneren mit Liebe verpackt und mit leidenschaftlichem Zuckerguss garniert neben die Nutella Stulle in die Brotbox deines Kindes legst, hast du innerhalb einer Sekunde eigentlich schon alles erreicht. Das kompakte Wissen dieser Welt im Tupper-Format, das trotzdem in keine noch so besondere Schule passt. Selbst im Laufe von 13 Jahren nicht.
Und mit so einem elterlichen, durch die Welt geprägten all inclusive Menu im Rucksack ist es dann auch ok, irgendwann selbst bei den einfachsten Rechenaufgaben den Taschenrechner zu zücken. Mit Leidenschaft. Wozu gibt es denn ziemlich beste, orange-graue Freunde?
Was möchtest Du Deinem Kind mit auf den Weg geben?
Voll schön 😀
Das hört sich fast so an, als wenn du dich schon für Worldschooling entschieden hast.
LG Christina
🙂
Wow… ich bin geplättet… so schöne Worte und die Botschaft geschmackvoll verpackt. Ich muss es nochmal lesen. Vielen Dank für diese Zeilen… bitte weiter so…
So lieb, vielen Dank für Dein Lob. Den nächsten Artikel gibt’s am Freitag. Am Besten, Du trägst Dich in den Newsletter ein- dann kannst Du nix mehr verpassen .-) Liebe Grüße von Bali!
Es ist so wahnsinnig toll, was Kinder von alleine lernen!
Als wir das letzte Mal in Israel waren, hat meine Tochter auch wieder angefangen, die Sprachen dort aufzusaugen. Ich denke, wenn wir länger dort wären, würde sie auch mehr Hebräisch und Arabisch reden. Aber: Ihre Oma dort fragt sie immer alles auf Arabisch und meine Kleine antwortet auf Deutsch!!! Irgendwie scheint sie es zu verstehen.
Schön finde ich auch, wie sie mit den Kindern dort spielt – Kinder verstehen sich ja auf der ganzen Welt.
Ich möchte auch noch ganz viel mit ihr reisen und ihr die Welt zeigen!
Freue mich schon auf den nächsten Beitrag von dir!
Toller Artikel!
Ganz lieben Dank für Dein Lob, und viele, viele Grüße aus Canggu. Nächste Woche geht es für uns weiter nach Australien, da kann Maxi dann auch sein Englisch verbessern 😉
Hallo Janina,
hast du auch schon mal darüber nachgedacht bei YouTube aktiv zu werden? Ich würde so gerne mehr von euch Abenteuern sehen.
Viele Grüße
Hey Lulu, Danke für Deine Anfrage. Ich heb die letzten acht Jahre als Journalistin im TV gearbeitet und mich jetzt mal ganz bewusst dagegen entschieden. Blog und Podcast müssen erstmal reichen 🙂 Falls Du den Podcast noch nicht kennst, hör unbedingt mal rein 🙂 Liebe Grüße, Janina